Von Niederlage zu Niederlage?

Wie es scheint, ist der desaströse Afghanistaneinsatz nun beendet. Die Taliban sind an die Macht zurückgekehrt. Nachdem der Initiator des Terrorismus, Osama Bin Laden ermordet wurde, hätten die internationalen Truppen 2011 oder 2012 abziehen können. Dann wären die vielen – vor allem auch zivilen - Opfer der folgenden Jahre zu vermeiden gewesen. Heute gibt es erste Gespräche mit den Taliban. Sie hätten vor 10 Jahren beginnen müssen.

Wie in Afghanistan gibt es in Mali keine Regierung, die das Vertrauen der Bevölkerungsmehrheit genießt. Es fehlt auch eine gemeinsame Linie der internationalen Truppenkontingente untereinander und mit der malischen Regierung. Eine friedliche Zukunft des Landes liegt in weiter Ferne. Es ist bedauerlich, dass in Mali deutsche Soldaten verwundet wurden. Dieser Anschlag verlangt von der deutschen Politik, den Mali-Einsatz grundsätzlich zu überdenken und nicht noch mehr Bundeswehrsoldaten nach Afrika zu schicken. Aber die Entscheider in Berlin waren und sind mit dem Land und seinen Konflikten offenbar zu wenig vertraut.

Einige Fakten in zehn Stichpunkten:

… mit Frankreich führte 2013 zu dem Einsatz der Bundeswehr in Mali. Eine weitgehend korrupte Regierung in Bamako bat damals Frankreich um militärische Unterstützung gegen die aus Libyen vorrückenden Tuareg im Norden. Aber Frankreich unterstützte nicht nur die malischen Truppen, sondern besetzte das Land mit Luft-, See- und Landstreitkräften, um den eigenen wirtschaftlichen Einfluss in Mali und den Nachbarländern nicht zu verlieren. Die mit Dschihadisten verbündeten Tuareg wurden schnell zurückgeschlagen. Danach hätte der Militäreinsatz beendet und dem Land zivilgesellschaftliche Unterstützung angeboten werden müssen.

... erfolgte vornehmlich durch weiße Tuareg-Rebellen und Dschihadisten mit den Waffen des gerade gestützten und im Oktober 2011 ermordeten libyschen Machthabers Gaddafi. Ihr Ziel war ein eigener Staat „Azawad“ in den malischen Regionen Timbuktu, Gao und Kidal, den sie bereits nach der Unabhängigkeit Malis (1960) angestrebt hatten. Ihre Rebellion wurde 1963 blutig niedergeschlagen – ein Trauma der Tuareg und Grundlage der Widerstandsgruppe „Söhne von 1963“.

... hat eine lange Geschichte von Staatlichkeit und zivilgesellschaftlicher Kompetenz. Die "Manuskripte von Timbuktu"stammen aus dem 13. Jahrhundert, arabische Handschriften, die von Recht, Philosophie, Medizin, Astronomie und Mathematik handeln. .Die älteste Erklärung grundlegender Menschenrechte, die Mande-Charta ist eine mündliche Überlieferung aus dem 13. Jahrhundert. Der legendäre Gründer des Mali-Reiches, Sundiata Keita, ließ sie zusammen mit seinen Gefolgsleuten im Jahr 1222 feierlich ausrufen, um Regeln für die soziale Organisation und das friedliche Zusammenleben in seinem Reich durchzusetzen. Die Charta besteht aus sieben Artikeln und handelt von der Unantastbarkeit des menschlichen Lebens, der Gleichheit aller Lebewesen und den Schrecken von Krieg und Sklaverei, die von nun an ein Ende haben sollen. Sie stellt somit die älteste Erklärung grundlegender Menschenrechte weltweit (!) dar und wurde deshalb von der UNESCO im Jahr 2009 zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt.

... der in Mali etwa 80 Jahre anhielt und 1960 offiziell zur Unabhängigkeit führte, ist bis heute nicht beendet. Es ist nicht der kulturelle Reichtum, an dem Frankreich interessiert ist. Es waren immer die Bodenschätze und landwirtschaftlichen Rohprodukte. Letztere werden in Frankreich verarbeitet und dann in Mali als französische Produkte verkauft.

Es ließen sich dutzende Fakten für den Neokolonialismus Frankreichs aufzählen. Hier nur ein Beispiel: Die Länder mit der Währung Franc-Afrique haben zwar eigene Zentralbanken, ihre Währungsreserven lagern aber in Paris und können nur mit Zustimmung der französischen Regierung genutzt werden.

In den 70er und 80er Jahren gab es die ersten großen Sahel-Dürren. Die Temperaturen stiegen schneller als im weltweiten Durchschnitt. Die Regenzeiten wurden kürzer und teilweise so heftig, dass es zu Überschwemmungen kam. Die Ackerbaugrenze im Sahel hat sich seit den 70 er Jahren etwa um 100 Kilometer nach Süden verschoben. Diese Veränderungen dauern bis heute an. Besonders betroffen von diesen Veränderungen sind die Völker der Dogon und der Fulbe. Die Dogon sind Ackerbauern und die Fulbe traditionell Viehzüchter. Konflikte zwischen ihnen haben eine lange Tradition, oft konnten sie friedlich beigelegt werden in Dorfversammlungen unter dem Einfluss bekannter Persönlichkeiten, z.B. durch Imane. Diese zivilgesellschaftlichen Strukturen müssen unterstützt werden.

... versteht die Sprache, die in Regierung und Parlament gesprochen werden. Die von Frankreich in kolonialer Zeit verordnete „Amtssprache“ ist nach wie vor Französisch. Wahlkämpfe sind Events zum Geldsammeln derjenigen, die ins Parlament einziehen wollen. Dort profitieren sie dann von der Fassadendemokratie.

Nur etwa zehn Prozent der staatlichen Mittel Malis vergibt die Zentralregierung an die Regionen. Um ihre Aufgaben erfüllen zu können, wie z.B. Energieversorgung, Infrastruktur, Schulen, Gesundheitswesen, Trinkwasser und Abfallentsorgung – bräuchten die Regionen etwa das Dreifache der Finanzmittel, die ihnen zugebilligt werden. In den Dörfern fehlen Lehrkräfte. Da die Weltbank Mali gezwungen hat, den öffentlichen Dienst drastisch zu verkleinern, werden keine Lehrer mehr eingestellt. Selbst Institute zur Lehrerausbildung wurden geschlossen.

...tagte Ende März 2017. Teilnehmer waren 900 Malier aus allen Ethnien und Schichten der Gesellschaft. Nach drei Tagen wurde entschieden: Die Bevölkerung will endlich an der Bekämpfung der Krise beteiligt werden. Und es solle versucht werden, mit den Dschihadisten Amadou Kouffa und Iyad Ag Ghali in Dialog zu treten. Der Staatspräsident nahm die Forderung entgegen und ließ seinen Versöhnungsminister verkünden: «Mali ist bereit, mit all seinen Söhnen zu verhandeln.» Die Zusage hielt nur wenige Tage. Am 7. April 2017 besuchte der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault Mali gemeinsam mit seinem deutschen Pendant Sigmar Gabriel und befand kategorisch: «Wir stehen hier in einem Kampf. Es ist ein Kampf gegen den Terrorismus ohne Zweideutigkeit. (...) Dafür gibt es nur einen Weg, nicht zwei.» Der malische Präsident sagte Ayrault daraufhin zu, es werde keine Verhandlungen geben, und so wurde es vom malischen Außenminister dann auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den beiden europäischen Besuchern verkündet.

... war in Deutschland nicht immer die Begründung für die Militäreinsätze: Anfangs war es nur die Unterstützung für die UN-Resolution und eine Ausbildungsmission. Ab 2015 sollte der Einsatz die zunehmende Migration nach Europa aufhalten. Erst in den letzten Jahren dient die "Terrorismusbekämpfung" als Einsatz-Argument.

Vor dem Militäreinsatz gab es gelegentlich gewaltsame Konflikte in Mali, aber keinen Terrorismus, der bis heute besorgniserregende Formen angenommen hat. Für das Legen von Minen z.B. werden heute arbeitslose junge Männer von kriminellen Klans gut bezahlt. Damit diese ihre Schmuggelware sicher transportieren können rekrutieren sie gerne die von der Bundeswehr ausgebildeten malischen Soldaten und zahlen einen höheren Sold als die Landesregierung. Die in die Zukunft verlängerte Unsicherheit in Mali und die Anwesenheit der ausländischen Truppen sichert der Elite in Bamako ihre Macht und ihre Einkünfte.

… sind vielfältig: Zwischen Bauern und Viehzüchtern, Nomaden und Sesshaften, Volksgruppen im Süden und Volksgruppen im Norden, der Mehrheitsbevölkerung und den Herrschenden in Bamako. Noch immer weit verbreitet ist der Analphabetismus. Unterschiedlichen Ethnien sprechen drei Hauptsprachgruppen mit vielen Dialekten. Etwa 90 Prozent der Bevölkerung Malis sind Muslims mit meist nur geringen Bindungen an die religiösen Vorgaben des Islam. Der Islam und die animistischen Traditionen1 Westafrikas sind eine enge Verbindung eingegangen. Religiöse Intellektuelle, die eine Überwindung der kolonialen Zwänge und der Autoritätshörigkeit erreichen wollen, geraten leicht in die Etikettierungschemata westlicher Herkunft: Wer sich in die Politik einmischt und nicht ausdrücklich pro-westlich agiert, erhält bald ein Etikett: Islamist, Salafist, Extremist. Diesem Schema folgen auch die Regierungsvertreter in Bamako.

Die Konflikte Malis lassen sich mit militärischen Mitteln nicht lösen. Das wissen auch einige Mitglieder der deutschen Bundesregierung.

1Der Glaube an die Beseeltheit der Natur und ihrer Objekte (z.B. Steine, Pflanzen, Tiere, Berge, Quellen...)

Das Auswärtige Amt unterstützt die Arbeit des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) in Mali und schickt seine im Zentrum für Internationale Friedenseinsätze ausgebildeten Fachkräfte nach Mali, um z.B. die „Wahrheitskommission zur Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen“ zu unterstützen.

Der ZFD bildete präventiv rund 40 malische Expertinnen und Experten in gewaltfreier Konfliktbearbeitung aus. Viele von ihnen konnten so während der Krise dazu beitragen, dass Konflikte auf lokaler Ebene nicht weiter eskalierten.

Mali hat in vielen Landesteilen eine funktionsfähige Zivilgesellschaft, die tief verwurzelt ist in Tradition und Geschichte des Landes. Die malische Nichtregierungsorganisation "Organisation pour la Réflexion, la Formation et l’Education à la Démocratie et au Développement" [ORFED] (Organisation für Reflexion, Bildung und Erziehung im Bereich Demokratie und Entwicklung) wurde 2004 gegründet. Sie hat sich als wichtiger Akteur der Zivilgesellschaft für Frieden und Demokratie in Mali etabliert. Der Zivile Friedensdienst in Deutschland arbeitet seit 2007 mit ORFED zusammen.

In Mali gibt es viele Menschen und Organisationen, die sich für den Frieden einsetzen wollen. Die internationale Gemeinschaft ist aber zu sehr auf das Militär fixiert. Das entmutigt und schwächt die malische Zivilgesellschaft. Der Frieden muss sich von unten aufbauen. Wenn von Anfang an mehr Mittel in die Zivilgesellschaft investiert worden wären, wenn man lokale Organisationen gestärkt, geschult und finanziell unterstützt hätte, wären wir einem dauerhaften Frieden wesentlich näher als jetzt. Mit nur einem Viertel der Militärausgaben sagt ein Sprecher des ORFED, könnte man das ganze Potential der Zivilgesellschaft mobilisieren. Das eklatante Missverhältnis von Krieg und Frieden wird an zwei Zahlen deutlich: Für diesen friedenspolitischen Einsatz gab die Bundesregierung insgesamt seit 2013 etwa 22 Millionen Euro aus (Stand 2019). Der Militäreinsatz kostet pro Jahr etwa 260 Millionen Euro. Hinzu kommen die Mittel aus Frankreich und den Vereinten Nationen.